Stellenwert des Justizvollzugs für die innere Sicherheit

von Delia Klages

Unser Land hat sich verändert. Die Population in den Haftanstalten auch. Aktuell sind in Niedersachsen rund 4.700 Personen inhaftiert, Tendenz steigend, darunter immer mehr Jugendliche und psychisch auffällige Strafgefangene sowie Häftlinge mit Migrationshintergrund und auch die Gefahr der Radikalisierung bei den Gefangenen nimmt zu.  Der Justizvollzug steht im Spannungsfeld zwischen Recht, Sicherheit, Gesellschaft und Sozialem, Arbeitsmarkt, Bildung und Ausbildung, Gesundheit, Finanzen und Haushalt. Puffer und Garanten der Sicherheit zwischen einer komplexen Welt hinter Gittern und der Außenwelt sind die Justizvollzugsbediensteten.   Kaum wertgeschätzt unterbezahlt, täglich Gefahren ausgesetzt und vor allem hat man die Personalentwicklung in den letzten Jahren völlig verschlafen. Sie schützen die Bevölkerung vor gefährlichen Kriminellen, und sind ein wichtiger Faktor für die innere Sicherheit.  

Als Antwort darauf habe ich im Rahmen eines interfraktionellen Treffens gemeinsam mit den justizvollzugspolitischen Sprechern aus Thüringen, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz die „Hannoversche Erklärung“ auf den Weg gebracht. Diese Erklärung ist die Grundlage unserer Justizpolitischen Arbeit. Um bundesweit für die Bediensteten im Justizvollzug eine deutliche Verbesserung hinsichtlich der Personalsituation, der Besoldung, der Ausstattung und der allgemeinen Randbedingungen herbeizuführen setzen wir unsere parlamentarischen Instrumente ein.

Was wurde verschlafen? In Niedersachsen wurde der Personalbedarf für die Justizvollzugsanstalten zuletzt 2013 erfasst. Erst 2020 fing die Landesregierung an, sich Gedanken um den Nachwuchs zu machen, obwohl die Pensionierungswelle bereits anrollte und die Justizvollzugsanstalten sich immer mehr füllten. In Schleswig-Holstein wurde jüngst ein Bedarf von rund 200 neuen Stellen ermittelt. Hinter vorgehaltener Hand geht man in Niedersachsen von einem mindestens drei Mal so hohen Bedarf an zusätzlichen Planstellen aus.   Weil sich allerdings immer weniger junge Menschen für eine Karriere im Justizvollzug entscheiden und allgemein das Bildungsniveau sinkt, wurden zuletzt die Einstellungskriterien aufgeweicht. Insbesondere in den Fächern Deutsch und Sport sind die Anforderungen auf ein inakzeptables Niveau gesunken. Heute werden Bewerber eingestellt, die noch vor 10 Jahren keine Chance auf Einstellung gehabt hätten.

Was bedeutet dies für den Strafvollzug? Geringe Anforderungen an die Bewerber, schlechte Ausbildungsbedingungen und Personalmangel belasten die Arbeitssituation im Strafvollzug. Hoher Krankenstand und Frühberentung sind oft die Folgen.   Gut ausgebildetes Personal mit hoher Verantwortung für Menschen und Sicherheit muss entsprechend bezahlt werden. Insbesondere Niedersachsen hinkt im bundesweiten Vergleich bei den Grundbezügen hinterher. Aber auch eine spürbare Erhöhung der Zulagen und der Zuschläge für Dienste an Feiertagen, Wochenenden und in der Nacht nötig. Ungefähr 3 Euro brutto mehr pro Stunde sind ein schlechter Scherz im Vergleich mit bis zu 200-Prozent-Zuschlägen in der Privatwirtschaft.   Auch bei den sogenannten Werkmeistern liegt einiges im Argen.

Voraussetzung für eine Einstellung in den technischen Dienst in Justizvollzugsanstalten ist die Meisterprüfung. Werkmeister leiten die handwerklichen Eigenbetriebe der Justizvollzugsanstalten und bilden Strafgefangene in Lehrbetrieben aus. Ihre Arbeit ist von zentraler Bedeutung. Sie sollen die Gefängnisinsassen fit für ein Leben in Eigenverantwortung und auf dem Boden der Gesetze machen. Mit ihnen steht und fällt oft eine gelungene Resozialisierung, wenn die überhaupt möglich ist. Werkmeister werden zu Beginn nach A7 besoldet – nach Besoldungstabelle 2.573,94 brutto monatlich. Ein Witz! Bei der aktuell hohen Nachfrage nach handwerklichen Dienstleistungen und grassierendem Fachkräftemangel verdient ein Handwerksmeister wesentlich mehr als Angestellter in der freien Wirtschaft, ja sogar ein Vielfaches als Selbständiger. Unbesetzte Stellen, rückläufige Bewerberzahlen, indiskutable Vergütung:

Im Justizvollzug zeigen sich jetzt die Folgen eklatanter Versäumnisse. Angesichts dieser Misere fällt der Landesregierung nichts Besseres ein, als eine Werbekampagne mit Slogans und Imagefilmen in Aussicht zu stellen statt echter Perspektiven und Wertschätzung zu bieten.   Fehlende Wertschätzung zeigt sich auch in der oft veralteten Ausstattung der Arbeitsplätze. Nach einigen JVA-Besuchen und Berichten von Betroffenen haben wir einen Entschließungsantrag eingereicht. Damit fordern wir die Umsetzung der Arbeitsstättenverordnung für alle Justizvollzugsbeamte. Diese schreibt Standards vor, die in den Justizvollzugsanstalten zwar für die Verwaltung, aber selten für die anderen Arbeitsplätze auf den Stationen erfüllt sind. Eine schlechte Arbeitsplatzausstattung ist für Gesundheit und Motivation zugleich abträglich.

Darüber hinaus würde eine bessere Digitalisierung den Bediensteten die Verständigung mit fremdsprachigen Häftlingen erleichtern. Nicht immer sind Dolmetscher greifbar.    Immer öfter werden Justizvollzugsbedienstete von psychisch auffälligen Häftlingen bedroht. Jüngstes Beispiel ist der Somalier, der in Ludwigshafen zwei Handwerker tötete und eine weitere Person lebensgefährlich verletzte. In der Justizvollzugsanstalt Frankenthal galt er als gefährlich für Personal und Mithäftlinge aufgrund seiner psychischen Auffälligkeiten und seiner Verweigerung, Medikamente einzunehmen. Das sind Fälle für die Vollzugspsychiatrie. Justizvollzugsbeamte sind keine Psychiater, und werden auch nicht danach bezahlt. Mit dem Ausbau normaler Justizvollzugsanstalten ist ihnen insofern auch nicht geholfen.

Überhaupt sind unsere Gesetze, unser Justizvollzugssystem, unsere Psychiatrien schlichtweg nicht für Straftäter aus fremden Kulturräumen mit fremder Sozialisation geeignet, die sich zudem den Maßstäben unserer Gutachter entzieht. Ein weiterer belastender Aspekt an der Schnittstelle zwischen Justizvollzug und Gesundheit sind die pflegebedürftigen Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten. Es ist schwer vermittelbar, dass inhaftierte Kriminelle aufgrund einer Pflegebedürftigkeit in normalen Pflegeheimen untergebracht werden. In Niedersachsen war geplant, das ehemalige Bückeburger Gefängnis in eine Anstalt für pflegebedürftige Häftlinge umzubauen. Zwei Freunde kauften das Gebäude für 180.000 Euro auf und machten daraus stattdessen die Event- und Party-Location „Zuchthaus“. Tanzen und feiern, statt die echten Probleme anzupacken. Das Land Niedersachsen setzte damit wie leider so oft das falsche Zeichen. Die JVA Salinenmoor in Celle stünde noch zur Verfügung. Hier haben allerdings nicht zwei Freunde, sondern gleich zwei Brüder Interesse bekundet – die Kaulitz-Brüder. Vollzugspsychiatrie, Vollzugspflegeheim oder demnächst GNTM, Glanz und Glamour hinter Gittern? Noch ist das Verfahren offen.

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